In geheimer Mission

Immer mehr deutsche Handelsunternehmen lassen die Servicequalität ihres Verkaufspersonals durch anonyme Testkäufe untersuchen. Mit einer Zuwachsrate von jährlich 8 Prozent entwickelt sich das Mystery Shopping – das verdeckte Testkaufen – derzeit zu einem der schnellst wachsenden Dienstleistungssektoren in Deutschland.

 

Ein arroganter Möbelverkäufer, der unwillig Auskunft gibt? Ein Bankangestellter, der so verdrießlich schaut, als hätte man ihm den Lohn gekürzt? Eine maulige Kellnerin, die ruppig die Rechnung auf den Tisch knallt? Unprofessioneller Dienst am Kunden frustriert und der Kunde reagiert. Bestenfalls straft er das Unternehmen zukünftig mit Nichtbeachtung. Schlimmstenfalls berichtet er bis zu 20 Personen von seinen negativen Erfahrungen.

 

In Zeiten, in welchen Preis, Qualität und Produktmerkmale nur noch geringfügig differieren, bleiben Kunden in der Regel jenen Unternehmen treu, auf deren Service sie vertrauen können. Die Servicequalität zählt demnach zu den Schlüsselfaktoren des Unternehmenserfolges. Um diese zu testen, schicken immer mehr Unternehmen „Undercover-Agenten“ in ihre Filialen. 

 

Die etwas irreführende Bezeichnung des Mystery Shoppings (wörtlich übersetzt: „Geheimniseinkauf“) bezeichnet Testkäufe durch verdeckte Ermittler. Die Methode kommt aus den USA und wird dort bereits seit drei Jahrzehnten als erfolgreiches Controlling-Instrument zur Verbesserung der Kundenbindung genutzt. Die Idee, die sich dahinter verbirgt, ist einfach und effektiv: Unternehmen interessieren sich dafür, wie zufrieden Kunden mit dem von ihnen angebotenen Service sind und ob aus Kundensicht Anlass zu Verbesserungen besteht. Um das festzustellen, simuliert ein Testkäufer, der der Zielgruppe des jeweiligen Unternehmens entspricht, einen Einkauf. 

 

Im Vorfeld wird eine typische Einkaufssituation konstruiert, um so ein möglichst breites Spektrum zur Beurteilung von Service- und Verkaufsleistung abzudecken. Mystery Shopper bewerten z.B. Reaktionsgeschwindigkeit, fachliche Kompetenz, Freundlichkeit, Umgang mit Reklamationen, Logistik (leere Regale) oder das Erscheinungsbild einer Filiale. 

 

Das Ergebnis der Beobachtung des Testkäufers wird in standardisierten Berichten festgehalten. Dabei sagt Mystery Shopping nicht nur etwas aus über die Behandlung des Kunden aus. Vielmehr dient es auch dazu, die Erfolge von Mitarbeiterschulungen, Verkaufsseminaren etc. zu überprüfen und hier weiteren Handlungsbedarf aufzudecken und zu konkretisieren.

 

Mit ihren verdeckten Einsätzen können Unternehmer feststellen, bei welchen Prozessabschnitten Fehler gemacht werden. Im Idealfall können Mystery Shoper sogar neue Projekte testen, bevor sie großflächig anlaufen. Der Kundenblick soll Defizite aufdecken und das Personal zu besseren Leistungen anspornen.

 

Dabei lassen die Geheimaktionen keinen Kommunikationsweg aus: Mystery-Studien können durch stationäre „Testkäufe (Mystery-Shopping)“ erhoben werden. Aber auch telefonische (Mystery-Calling) oder postalische/ elektronische Varianten (E-Mail) sind denkbar und häufig auch ratsam. 

 

Zur Zeit gibt es in Deutschland zirka 20 Spezialagenturen für Mystery Shopping. Hinzu kommen etwa 30 Unternehmensberatungen und Marktforschungsinstitute die vergleichbare Services anbieten. Bis zum Jahr 2010 erwartet die internationale Mystery Shopping Providers Association (MSPA) für den deutschen Markt ein Wachstum von durchschnittlich 8 Prozent pro Jahr. Damit zählt Mystery Shopping zu einer der schnellst wachsenden Dienstleistungsbranchen überhaupt. Allein in Deutschland soll der Umsatz der Branche derzeit bei zirka 30 Millionen Euro liegen.

 

Nach Angaben der MSPA beträgt das Volumen des europäischen Mystery Shopping Marktes in diesem Jahr rund 210 Millionen Euro. Bis zum Jahr 2010 erwarten die Experten einen weiteren Wachstumsschub von ca. 75 Prozent. Das entspricht einem jährlichen Zuwachs von durchschnittlich 11 Prozent. 

 

Vor allem für die bisher noch unterentwickelten Märkte in Osteuropa sieht die Prognose günstig aus. Während neben Deutschland auch in Frankreich und Großbritannien das jährliche Wachstum bei rund 8 Prozent liegen dürfte, wird in den im Aufbau befindlichen Märkten von einer Zuwachsrate von über 15 Prozent pro Jahr ausgegangen. Innerhalb von nur fünf Jahren wird sich das Marktvolumen nach den Schätzungen hier also verdoppeln.

 

“Zirka 45 Prozent unserer Auftraggeber kommen aus dem Bereich Einzelhandel“, erklärt Tobias Rodig, Leiter Presse- und Öffentlichkeitsarbeit von MSM Germany GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in Münster hat sich auf Mystery Shopping spezialisiert und verzeichnete in den letzten Jahren eine Zuwachsrate von über 300 Prozent bei seinen Beschäftigten. Allein in der Unternehmenszentrale stieg die Anzahl der fest angestellten Mitarbeiter innerhalb von sechs Jahren von 19 (1999) auf 53 (2005). 

 

„Neben dem Einzelhandel haben aber auch viele andere Branchen das Instrument Testkauf für sich entdeckt und verbessern so ihre Performance am Point of Sale, wie zum Beispiel Mineralölgesellschaften, Touristiker, Finanzdienstleister oder die Systemgastronomie“, erläutert Rodig.

 

Dennoch besteht noch Aufholbedarf, argumentiert Marcus Reiner, Managing Director, von Shopcontrol mit Sitz in Köln. „Deutschland liegt, was Mystery Shopping betrifft, zehn Jahre hinter den USA und UK zurück. Während es in den englischsprachigen Ländern zum Standardwerkzeug gehört, steckt es in Deutschland noch in den Kinderschuhen.“

 

Vor allem in der Umsetzung tun sich nach Ansicht von Reiner viele Unternehmen noch schwer. Reiner schätzt, dass zwischen 80 und 90 Prozent der Kunden dieses Instrument nur unzureichend nutzen. „Leider agiert das verantwortliche Management in vielen Fällen noch nach dem Motto ‘Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser’. Es fehlt der ganzheitliche Ansatz. Mystery Shopping ist nur dann wirksam, wenn nicht nur das Controlling im Fokus steht, sondern vor allem die Personalentwicklung, aber auch das Marketing und der Vertrieb. Bei der alleinigen Fokussierung auf Kontrollmaßnahmen wird wertvolles Potential verschenkt.“ 

 

Darüber hinaus könnten sich viele Unternehmen nur zu stichprobenartige Testkäufen entschließen. „Der Erfolg eines solchen Projektes hängt aber maßgeblich von der Untersuchungsfrequenz und der Untersuchungsbreite ab“, erklärt Reiner. „Eine Möbelmarktkette mit 100 Filialen sollte z.B. in jeder ihrer Filialen pro Monat zehn Testkäufe durchführen und das über die Laufzeit von einem Jahr. Das macht im Ganzen 12.000 Testkäufe. Derzeit können sich die meisten Unternehmen dieser Größenordnung nur zu etwa 1.000 Testkäufen entschließen und das ist für eine weitreichende Entwicklung entschieden zu wenig.“ 

 

Die Vorteile einer intensiven Untersuchung liegen auf der Hand. Saisonale Schwankungen der Ergebnisse können bereinigt werden, Vergleiche der Monatsergebnisse werden möglich. Darüber hinaus erhöhen regelmäßige Besuche die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter und die Schulungserfolge können unmittelbar und zeitnah gemessen werden.

 

Eine regelmäßige Durchführung erhöht demnach insgesamt den Stellenwert der Kundenfreundlichkeit und das wirkt sich wiederum positiv auf das Image des untersuchten Unternehmens aus.

 

Doch auch auf der Anbieterseite gibt es Defizite. „Das Marktforschungsinstrument Mystery Shopping setzt große Professionalität voraus, um effektiv und zielorientiert Ergebnisse zu liefern“, erklärt Rodig. „Um es deutlich zu sagen: Es gibt sichtbare Qualitätsunterschiede zwischen den einzelnen Anbietern. Die Zahl der seriösen Anbieter in Deutschland dürfte bei einem knappen Dutzend liegen.“ 

 

MSM verfügt über einen Testkundenpool von circa 10.000 freien Mitarbeitern in Deutschland, die nach Angaben des Unternehmens auch tatsächlich zum Einsatz kommen. „Im MSM Konzept spielt die Schulung der Testkunden eine zentrale Rolle“, so Rodig. „Von schriftlichen und telefonischen Briefings bis hin zu Präsenzschulungen: Jeder Testkunde ist intensiv auf seinen Einsatz vorbereitet worden.“

 

Dass sich Mystery Shopping-Maßnahmen auszahlen, davon ist Thorsten Fluck, Leiter Bereich Shops des Telekommunikationsanbieters The Phone House, überzeugt. “Seit mehreren Jahren lassen wir unsere Shops deutschlandweit überprüfen. Im vergangenen Jahr konnten wir dadurch eine rund zehnprozentige Produktivitätssteigerung verzeichnen.”

 

Entgegen aller Unkenrufe von der Servicewüste Deutschland steht es um die Servicequalität deutschen Verkaufspersonals jedoch gar nicht so schlecht. Nach einer aktuellen Untersuchung der englischen Einzelhandelsberatungsagentur Grass Roots ist das deutsche Verkaufspersonal im europäischen Vergleich sogar führend was Effizienz, Kompetenz, Kundendienst und Verkaufsabschlüsse betrifft. Für die Untersuchung wurden 3.500 Mystery Shopper in sechs westeuropäischen Ländern (Deutschland, UK, Frankreich, Holland, Spanien, Irland) auf geheime Mission geschickt, um Fastfoodketten, Finanzdienstleister, Autoverkäufer und Handyshops zu untersuchen. Letzter auf der Liste war übrigens Frankreich.


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