Paradies der Erinnerungen

Café Spurensuche lädt demenzkranke Senioren zweimal wöchentlich zur Zeitreise ein

Den Aktionsradius pflegebedürftiger Senioren wieder zu erweitern, ihnen Raum geben und sie gezielt zu fördern ist die Maxime des Cafés Spurensuche, eine Initiative des Pflegestützpunktes der Diakonie Sozialstation Kirchberg. Zweimal wöchentlich lädt dieser demenzkranke Menschen aus der Region in das Gesundheitszentrum Büchenbeuren ein, sich gemeinsam mit anderen auf eine Reise in die Vergangenheit zu machen.

 

Leben heißt, sich mit anderen Menschen auseinanderzusetzen, in kleinen einfachen wie in großen wichtigen Dingen. Und das bedeutet, viel miteinander zu sprechen. Gute Gespräche fördern das Miteinander, lassen Vertrautheit entstehen, schaffen menschliche Beziehungen.

 

Doch der Alltag demenzkranker Menschen sieht meist anders aus. Er spielt sich häufig nur noch in den eigenen vier Wänden ab und die Kommunikation reduziert sich auf wenige Menschen und sich wiederholende Themen. Um hier neue Impulse zu setzen, hat sich der Pflegestützpunkt Kirchberg etwas Besonderes einfallen lassen – das Biografie-Café Spurensuche.

 

Die Lebensrückschau ist ein wichtiger Baustein in der Arbeit mit älteren Menschen, denn die Beschäftigung mit der eigenen Vergangenheit ist ein verbindendes Thema – unabhängig von Alter und Geschlecht, von Bildung und Intelligenz. „Erinnerung ist das einzige Paradies aus dem wir nicht vertrieben werden können“, schrieb schon der deutsche Schriftsteller Jean Paul.

 

„Das Café will den Gedankenaustausch darüber in Gang setzen, wer was, warum und wie erlebt hat, will Menschen herausfordern, über Erlebtes nachzudenken und darüber zu erzählen,“ erklären Anja Bindges, Leiterin der ambulanten Dienste Hunsrück-Mosel und Sabine Herfen und Ilona König, verantwortlich für den Pflegestützpunkt der Diakonie Sozialstation Kirchberg. „Die Biographiearbeit schafft so einen lebendigen Zugang zu demenzkranken Menschen und ermöglicht individuelle Förderung.“

 

Ein Team von fünf geschulten Mitarbeitern erstellt dabei ein abwechslungsreiches Programm und gestaltet die Zeit. Durch Erzählen, Singen, Spielen und Bewegung werden die Sinne angeregt und Erinnerungen wachgerufen. Dabei wird ein monatlicher Themenplan erarbeitet, der je nach Jahreszeit inhaltlichen Bezug nimmt: von Erdbeerernte und Sommerbräuchen bis Bratäpfel und Wintermärchen. „Dabei kommt auch das praktische Werken nicht zu kurz, da werden auch mal nach alter Manier Meisenknödel gemacht oder Kerzen gezogen“, erklärt Gabi Pauli, Alltagsbegleiterin und Mitarbeiterin des Betreuungsteams.

 

Um der Erinnerung auf die Sprünge zu helfen, dienen oft auch Objekte aus früheren Tagen wie altes Spielzeug als Impulsgeber. Das Murmelspiel, das alte Puppenbett oder der „Dopp“ – ein typisches Holzspielzeug aus der Region – rütteln so längst vergessene Geschichten wach und schnell entspinnt sich ein lebhaftes Gespräch unter den Teilnehmern über Erlebnisse aus der Kindheit.

 

Unzählige lustige, spannende, traurige, in jedem Fall aber sehr berührende Lebensgeschichten wurden seit der Gründung des Cafés im Jahr 2003 wieder zu Tage gebracht. „Da rollt auch so manche Träne“, weiß Gabi Pauli.

 

Die Spurensuche ist nicht nur für die älteren Gäste ein spannendes Abenteuer, sondern bedeutet auch für die Betreuer eine persönliche Herausforderung. „Es erfordert einiges an Wissen, behutsam mit Erinnerungen umzugehen und diesen einen angemessenen Rahmen zu geben“, erklärt Gabi Pauli. „Menschliche Wärme, Einfühlungsvermögen, Anteilnahme und Zuhören sind dabei wichtige Voraussetzungen.“

 

Bis zu 20 Gäste nehmen das Angebot des Cafés inzwischen in unterschiedlicher Häufigkeit wahr. Die steigende Nachfrage hat bereits einen Umzug in größere Räumlichkeiten erfordert. Seit 1. April 2013 befindet sich das Café Spurensuche im 2. Stock des Gesundheitszentrum Büchenbeuren. Das Gebäude ist zentral gelegen, bequem zu erreichen und dank Aufzug barrierefrei zugänglich. Mit zum Angebot zählt auch ein Hol- und Bringdienst für die Gäste.

 

In früheren Tagen hatte das „Maije-Gehen“ hier im Hunsrücker Raum eine lange Tradition. Vor allem im Winter besuchte man sich gegenseitig, nicht ohne den Strickstrumpf oder eine andere Handarbeit im Gepäck zu haben und erzählte. Mit der Einrichtung des Cafés Spurensuche wird ein Stück dieser vergessenen Tradition wieder zum Leben erweckt.

 

Zur Einweihung der neuen Räume am 12. Juni 2013 stellte Pfarrer Baldur Stiehl, Geschäftsführer der Ev. Altenhilfe und Krankenpflege Nahe-­Hunsrück Mosel gGmbH, Träger der Diakonie-Sozialstationen, denn auch stolz fest: „Es ist unser Ziel auf die individuellen Bedürfnisse der hilfs- und pflegebedürftigen Menschen und ihrer Angehörigen einzugehen und dabei deren Selbstbestimmung zu wahren. Mit diesem erweiterten Angebot ist das ein großes Stück gelungen.“

 

Der wachsende Zulauf gibt der Idee des Biografie Cafés recht und ist ein ermutigendes Beispiel dafür, dass man dem Leben zwar nicht mehr Tage, aber den Tagen mehr Leben geben kann … 


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